- Koran: Das heilige Buch der Muslime
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Der Islam ist eine Schriftreligion. Dem Koran kommt aber ein ganz anderer Stellenwert zu als der Bibel in Judentum und Christentum. Für sie ist in der Geschichte Israels und in Leben und Wort Jesu Christi Offenbarung Gottes wahrzunehmen, die im Alten und Neuen Testament lediglich literarisch dokumentiert ist, sodass diese Schriften »nur« in einem abgeleiteten Sinn als »Wort Gottes« gelten. Im Islam aber stellt das Buch selbst die Offenbarung Gottes und seines Willens dar, nicht etwa die Gestalt oder das Leben Mohammeds; der Prophet wird auch nicht als Autor, sondern nur als Sprachrohr und Instrument Gottes aufgefasst. In der späteren Sunna wurde der Koran als mit Gott gleichewiges Wort bezeichnet, das dann durch Mohammed in arabischer Sprache in unverfälschter Form geoffenbart wurde. Wortlaut, Inhalt und arabische Sprachgestalt sind somit unabänderlich und dürfen nicht kritisch hinterfragt werden.Der Koran, der ungefähr den Umfang des Neuen Testamentes hat, ist in 114 Abschnitte (Suren) mit insgesamt 6206 Versen gegliedert. Die beiden letzten Suren bieten Beschwörungsformeln, sodass Sure 112 mit ihrem Bekenntnis zu dem einen Gott vielleicht den logischen Schluss darstellt, der der programmatischen Sure 1, der »Fatiha« (= die Eröffnende), entspricht. Abgesehen von der ersten sind die Suren nach dem »Prinzip der abnehmenden Länge« geordnet: Auf die umfangreichste Sure 2 folgen immer kürzere. Jede Sure trägt einen Namen, zum Beispiel Sure 2: »Die Kuh«, Sure 3: »Die Sippe Imrans«, Sure 4: »Die Frauen«; dahinter folgt - außer bei Sure 9 - immer die »Basmala«, die Segensformel: »Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes«.In Sprache und Stil lehnt sich der Koran an die Tradition der vorislamischen Kahin, der »Seher«, an. Wie bei ihnen sind die Texte in »Reimprosa« gestaltet, und es werden Schwurformeln benutzt; wie durch die Kahin im Zustand der Ekstase ein »Geist« als »ich« sprach, so spricht im Koran durchweg Allah (als »ich« oder »wir«); mit »du« wird der Prophet angesprochen, die Zuhörer werden in der dritten Person Plural genannt (»sie«, seltener etwa »ihr Leute der Schrift«).Diese formalen Parallelen zeigen, dass sich Mohammed in seinen Anfängen wohl als eine Art »Seher« in der arabischen Traditionslinie verstand; diese aber hat er auf eine Weise weiterentwickelt, dass seine Rolle bald der der biblischen Propheten vergleichbar war - das heißt: »Bevor er von Prophetie überhaupt etwas wusste, hatte er. .. bereits angefangen, ein Prophet zu sein« (Rudi Paret). Der Koran ist nach einem recht äußerlichen Schema aufgebaut, und so wollte schon die muslimische Tradition die einzelnen Suren den Stadien des Lebens Mohammeds zuordnen und fügte der »Basmala« hinzu: »geoffenbart zu Mekka« oder »zu Medina«. Diese Einordnung ist mehr assoziativ; die westliche Koranforschung versucht sie mittels historischer Maßstäbe zutreffender vorzunehmen. Seit den Arbeiten des Orientalisten Theodor Nöldecke im 19. Jahrhunderts nimmt man an, dass die Suren oder auch einzelne Verse - manche Suren scheinen aus ursprünglich selbstständigen Teilen zusammengesetzt zu sein - einer älteren und einer jüngeren Phase entstammen; weil die meisten Forscher voraussetzen, dass alle Texte auf Mohammed zurückgehen, werden sie der Predigt in Mekka oder in Medina zugeordnet, wobei die Zeit vor der Hidjra noch einmal in eine frühe, mittlere und spätere Phase aufgegliedert wird.Zur Entstehung des Korans (Kanontheorien) werden bei aller Unterschiedlichkeit in einzelnen Fragen drei Auffassungen vertreten: Nach muslimischer Tradition konnte Mohammed nicht lesen und schreiben, sodass sich seine Zuhörer die Offenbarungen ins Gedächtnis einprägten oder sie sofort oder später auf Steine, Palmstängel, Zettel aus Pergament oder Papyrus notierten. Die Verse und Suren wurden nach dem Tod Mohammeds zunächst mündlich weitergegeben und gesammelt. Wann die heutige Ganzschrift entstanden ist, war im Islam zunächst umstritten, bis sich die These durchsetzte, der Koran sei unter dem dritten Kalifen Othman unter Leitung eines medinischen Muslim mit Namen Sayd ibn-Tabit zwischen 650 und 656, also 28-34 Jahre nach dem Tod Mohammeds, aus den vor allem mündlich und vereinzelt schriftlichen Versen und Suren zusammengestellt worden; sofort seien alle anderen Textversionen verboten worden.Die meisten westlichen Forscher gehen von einer ähnlichen Entstehungsgeschichte aus; obwohl die Texte erst unter Othman zusammengestellt worden seien, könnten sie ausnahmslos auf Mohammed zurückgeführt werden. Erst in neuerer Zeit gibt es Stimmen, die sowohl die Herkunft aller Korantexte von Mohammed wie auch die Abfassung der Ganzschrift unter Othman infrage stellen. Leider gibt es keine zufriedenstellende Quellenkritik, die die frühesten Handschriften datieren könnte; es scheint, dass älteste fragmentarische und zudem nicht plene geschriebenen Texte nicht vor dem Ende des 7. Jahrhunderts vorliegen. Von Mohammeds Tod bis zur Ausbildung einer Ganzschrift wären also zwei bis drei Generationen vergangen - ebenso viel wie zwischen dem Tod Jesu und dem Markusevangelium, dem ältesten der vier kanonischen Evangelien. Die Frage ist, ob man nicht der Tradition in den frühen muslimischen Gemeinden eine größere Bedeutung für die Entstehung des fertigen Korans zuerkennen muss und ob zwischen einem Kern älterer Worte, die auf Mohammed zurückgehen, und späteren Gemeindebildungen unterschieden werden muss.Die wichtigsten Glaubenslehren des Korans und damit des Islam sind das Bekenntnis zu Allah - zum Monotheismus -, der Glaube an die Schöpfung der Welt durch Allah, an die sittliche Verantwortung des einzelnen Menschen, der beim Jüngsten Gericht von Gott für sein Handeln zur Rechenschaft gezogen wird und je nachdem ins Paradies oder ins Höllenfeuer gelangt; außerdem die Vorstellung, dass das menschliche Schicksal der göttlichen Vorsehung unterliegt (Kismetglaube). Die Predigt von der alleinigen Herrschaft Allahs war wenn nicht von Anfang an, so sicher aber sehr bald, das wichtigste Thema Mohammeds und dann auch des Korans. Dieser Monotheismus stellt den Gedanken der Macht in den Vordergrund und wird strikt durchgehalten; jeder Gedanke an eine »Teilhaberschaft« an der Macht Allahs wird radikal zurückgewiesen. Der zentralen Bedeutung der »Macht« Allahs entspricht die vom Individuum geforderte bedingungslose »Hingabe« an den Willen Allahs, der »Islam«. Von Gott wird neben anderen Eigenschaften immer betont, dass er barmherzig ist; diese Barmherzigkeit variiert aber nur ein wenig seine Gerechtigkeit und ist nicht von der grundstürzenden Art wie Gottes Gnade und Barmherzigkeit im jüdischen und christlichen Erlösungsglauben. Die Schöpfung wurde laut Koran nicht in einer Urzeit vollendet, vielmehr ist sie ein fortdauernder Vorgang. Der Koran handelt auch vom Beginn dieses Schaffens; obwohl der Koran Teile der biblischen Schöpfungsgeschichte übernimmt, ist Allah nicht der Urheber von allem, sondern er findet eine gestaltlose Masse vor, die er zu Himmel und Erde formt. »Schaffen« bedeutet hier: Gestalten des Vorhandenen.Die Themen Auferstehung, Jüngstes Gericht sowie Himmel und Hölle scheinen von Anfang an zur Predigt Mohammeds gehört zu haben; sie sind für den Koran und den Islam konstitutiv. Wahrscheinlich war Mohammed in diesen Inhalten am meisten vom Christentum beeinflusst. Die Vorstellung schließlich von einem Kismet, einer Vorherbestimmung durch den Willen Gottes, ist im Grunde in jeder monotheistischen Religion angelegt, insofern sie alle Ursachen in Gott verankert sieht, entstammt aber wohl schon vorislamischer Religiosität: in Mekka wurde die Schicksalsgöttin al-Manat verehrt. Die Spannung zwischen menschlicher Verantwortung (Gerichtsgedanke) und göttlicher Prädestination (Kismet) führte auch in der islamischen Tradition zu Problemen. In Zeiten mangelnder gesellschaftlicher und individueller Dynamik kann die Kismetvorstellung zwar Trost spenden, aber auch einem Fatalismus Vorschub leisten.Prof. Dr. Karl-Heinz OhligParet, Rudi: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten. Stuttgart u. a. 71991.
Universal-Lexikon. 2012.